Zsolt K. Lengyel, München

Die Bibliothek des Ungarischen Instituts München

Neuere Entwicklung und Entfaltungsperspektiven

[Erstveröffentlichung in: Bibliotheksforum Bayern 34 (2006) 3, 255-267]

1. Ausgangslage nach der Institutsbewertung 1999

Das 1962 gegründete Ungarische Institut München e. V. (UIM, Müncheni Magyar Intézet, MMI) dient laut § 2 seiner novellierten Satzung vom 2. Dezember 2002 der wissenschaftlichen Forschung über die Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft Ungarns und der ungarischen Bevölkerungsgruppen außerhalb Ungarns unter besonderer Berücksichtigung von deren Beziehungen mit anderen Staaten und Nationen im europäischen Rahmen. Sein zweiter Aufgabenbereich umfasst die öffentliche Darstellung der ungarischen oder ungarnbezogenen Kultur – vor allem der Musik, Belletristik und Kunst – in deren grenzüberschreitender Reichweite und wissenschaftlichem Kontext. Dem Satzungszweck entspricht das UIM, indem es

– historiographische, landeskundliche und politologische Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Ungarnkunde (Hungarologie) als interdisziplinäre Regionalwissenschaft konzipiert und durchführt,

– vereinsinterne und auswärtige Forschungsergebnisse durch wissenschaftliche Beratungen praktisch nutzbar macht,

– ungarnkundliche Publikationen herausgibt,

– hungarologische Sammlungen betreut sowie

– wissenschaftliche und künstlerische Einzelveranstaltungen oder Tagungen durchführt.

Diese Ausrichtung der Tätigkeitsfelder folgt engstens der Linie der internationalen Evaluierungskommission, die 1999, als das UIM Wege aus einer existenzgefährdenden Haushaltskrise suchte, im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst und in Verbindung mit dem ungarischen Ministerium für Nationales Kulturerbe (Nemzeti Kulturális Örökség Minisztériuma) einhellig über die Fortsetzung seiner Arbeit unter deutlich verbesserten materiellen Bedingungen befand. Sie stellte die Weichen für die Überführung aus einer rein bayerischen Förderung in eine Mischfinanzierung durch den Freistaat Bayern und die Republik Ungarn, vertreten jeweils durch die genannten Ministerien. Diese gemeinsame Zuwendungsbereitschaft, aus der eine nominal maßgebliche und anteilig bedeutende Aufstockung des bayerischen Staatszuschusses folgte, ermöglicht seit 2000 die Beschäftigung eines Stammpersonals mit zwei hauptamtlichen wissenschaftlichen Mitarbeitern und – je nach Intensität der Sparzwänge und Erfolgsaussichten der Drittmitteleinwerbungen – drei bis sechs wissenschaftlichen und organisatorischen Teilzeitkräften, deren Arbeitsräume in einem unauffälligen Schwabinger Büro- und Wohnhaus auf insgesamt rund 200 Quadratmetern auch die Bibliothek beherbergen.

Dem Bewertungsausschuss lag eine umfangreiche Selbstdarstellung des UIM vor, welche die Sammlungen nach „Bibliothek" mit rund 15.000 bibliographischen Einheiten, „Archiv der ungarischen Exilpresse" mit über 850 verschiedenen Titeln in mehr als 2.500 Jahrgängen von 1945 bis zur Gegenwart sowie „Nachlässe und Dokumentationen" mit mehreren Fonds zu Themen und Persönlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts unterteilte und unter dem Aspekt der regionalen, sachlichen und zeitlichen Hauptsammelgebiete, der Erwerbung und Erschließung, der personellen und technischen Ausstattung sowie der Benutzungs- und Unterbringungsmerkmale beschrieb. Der Abschlussbericht der Kommission stellte aufgrund des nach einer örtlichen Begehung verfassten Sondergutachtens der Leitenden Bibliotheksdirektorin Christiane Schmiedeknecht (Universität Erfurt) fest: „Die Sammlungen beinhalten teils seltene, teils sogar einzigartige Literatur und damit wichtiges Grundlagenmaterial, das auch eine wertvolle Ergänzung des Literaturbestandes der übrigen Münchener Spezialsammlungen für die Ungarn-Forschung am Südost-Institut, am Institut für Finnougristik der Universität München und in der Osteuropa-Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek bietet. Unter Berücksichtigung der völlig unzureichenden personellen und finanziellen Ausstattung der Institutsbibliothek in der Vergangenheit wurde die bestmögliche Leistungsfähigkeit erreicht." Für einen „verbesserten Einsatz der Ressourcen und eine daraus resultierende Erhöhung der Nutzbarmachung" schlug die Stellungnahme Maßnahmen zur Neugestaltung der räumlichen, technischen und personellen Voraussetzungen sowie der Erschließung, Erhaltung und Aufstellung des Bestands vor.

Publizierte Berichte gewähren einen Einblick in die Sammlungstätigkeit des UIM von seinen Anfängen bis zur zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Deswegen beschränken sich nachfolgende Ausführungen auf die Grundlinien der Bemühungen, obige Empfehlungen umzusetzen oder ihre Verwirklichung vorzubereiten.

2. Grundlinien der bibliothekarischen Arbeit von 2000 bis 2005

Die Bibliothek des UIM wurde im ersten Jahr der bayerisch-ungarischen Institutsfinanzierung noch vom wissenschaftlichen Personal betreut. Dabei lag ein organisatorischer Schwerpunkt auf der aus statischen Gründen notwendigen Entzerrung durch Neuaufstellung der periodischen Literatur und der Sondersammlungen. Dies geschah in Räumen, die durch eine glückliche Fügung im gleichen Anwesen Anfang 2000 zusätzlich frei und angemietet wurden. Die Fachzeitschriften wurden für ein laufendes Inhaltsverzeichnis durch einen Server zur Geschichte Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas an der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) gesichtet. Aus den „Nachlässen und Dokumentationen" kam die Presseausschnittssammlung „Das Ungarnbild in der deutschsprachigen Presse" mit ihrem seit 1995 nur vorgeordneten Material ins Archiv, das zu dieser Thematik in den 1980er Jahren angelegt worden war.

Neben einer Vorsortierung von Alt- und Neuzugängen für eine digitale Katalogisierung der Bibliothek stand 2000 die auf der ungarischen Nationalbibliographie beruhende Zusammenstellung von anschaffungswürdigen Hungarica-Novitäten auf der Tagesordnung. Ein Teil dieser Wunschtitel lief dank großzügiger Schenkungen der ungarischen Nationalbibliothek Széchényi (Országos Széchényi Könyvtár, OSZK) und des Internationalen Hungarologischen Zentrums (Nemzetközi Hungarológiai Központ, beide Budapest) auch ein. Da Haushaltsmittel für Käufe nicht zur Verfügung standen, erfolgten die Erwerbungen wie vor der Evaluierung noch in entscheidendem Maße aus privaten Buch- und Zeitschriftenvermächtnissen und durch nationalen und internationalen Tausch mit über vierzig Partnern. Als Tauschgaben dienten die beiden Institutsreihen ,Studia Hungarica. Schriften des Ungarischen Instituts München’ (1964 ff.) und ,Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für interdisziplinäre Hungarologie’ (1969 ff.). Die Beantragung von bayerischen und ungarischen Mitteln für die Finanzierung eines Fachbibliothekars und von umfangreicheren Bestandvergrößerungen musste auf das nächste Kalenderjahr verschoben werden. In der Zuversicht auf deren Erfolg wurde aus einem Microsoft-Access-Lokalkatalog, den das UIM seit 1995 parallel zum ursprünglichen Karteikartenkatalog probeweise auf interne Redaktions- und Forschungsanforderungen zugeschnitten betrieb, eine eigene Bibliotheksdatenbank entwickelt, mit der Möglichkeit, sie später auf professionelle SQL-Systeme zu skalieren sowie im Internet einzusetzen. Wichtig war dabei die Darstellung ostmitteleuropäischer und kyrillischer Sonderzeichen.

Zwei Jahre nach der Evaluierung gelang es, die Bibliothek einer Fachkraft im gehobenen Dienst anzuvertrauen. Die gewünschte Halbtagsfestanstellung bei werkvertragsgeregelter studentischer Zuarbeit, die vom Bewertungsausschuss 1999 unterstützt wurde, ließ sich aber bis heute nicht durchsetzen. Im April 2001 nahm Herr Tamás Kelemen, M. A., bis dahin Leiter einer Filiale der Budapester Ervin-Szabó-Bibliothek, seine Tätigkeit im UIM auf. Da seine Teilzeitarbeit nur bis zu rund 15 Wochenarbeitsstunden finanzierbar war, widmete er sich vornehmlich den Büchern. Er nahm die Katalogisierung eines Teils der etwa 15 laufenden Regalmeter Rückstände im institutseigenen EDV-System vor und führte eine Revision des von 1968 bis 1995 ausschließlich im Karteikartenkatalog geführten und im Eingangsbuch inventarisierten Bestandes durch. Mit Kartenausdrucken der neuen digitalen Titelaufnahmen stellte er die Benutzbarkeit beider Kataloge sicher. 2001 wurden rund 700 Titel aus älteren und jüngeren Büchereingängen formal- und sacherschlossen. Um dieses Vorhaben möglichst rasch voranzubringen, wurden die ohnehin spärlichen bibliothekarischen Haushaltsmittel nur in zweiter Linie für Erwerbungen eingesetzt; deren Großteil stammte weiterhin aus den weitverzweigten Tauschbeziehungen sowie aus institutionellen und privaten Schenkungen.

Die bibliothekarischen Aufgaben außerhalb der Büchereinheitoblagen 2001 weiterhin dem wissenschaftlichen Institutspersonal. Die Periodika waren nach einer neuen Sichtung im Karteikartenkatalog mit rund 95 Titeln verzeichnet. In der Reihe der Nachlässe stand – auf der Wellenlänge des 1999er Evaluierungsberichtes – derjenige des international renommierten Historikers und Kunsthistorikers Thomas von Bogyay (1909-1994), 1962-1968 Gründungsdirektor, danach Vorstandsmitglied des UIM, im Vordergrund des Interesses. Er umfasst eine umfangreiche Korrespondenz, Buch- und Periodikasammlungen sowie Forschungs- und Lehrmaterialien verschiedener Gattungen, durchweg aussagekräftige Quellen sowohl zur zeithistorischen Entwicklung als auch zu ausgewählten, vor allem mediävistischen Themen der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropawissenschaft, insbesondere unter dem Aspekt deutsch-ungarischer Beziehungen. Seine Erschließung hatte am UIM mit seiner Übernahme im Sommer 1994 begonnen, wenige Monate, nachdem Bogyay, der seit 1945 in Bayern wohnte, gestorben war, und setzte sich ab 2000 in einem Institutsprojekt mit wissenschaftshistorischer Fragestellung fort.

Eine in den Institutsanfängen aus privaten Schenkungen aufgebaute repräsentative Reihe ungarischer belletristischer Klassiker, die in den 1970er Jahren durch unbedachte Sichtungen aussortiert, aber immerhin nicht ausgeschieden worden war, gelangte schrittweise aus ihrer unverdienten Stellung einer „Sondersammlung" in die Bücherabteilung zurück, wo sie seither in ihrem ursprünglichen und nun geprüften eigenen Zettelkatalog. wieder zugänglich ist. Gleichzeitig erhielten die Spezialbestände Zuwachs, da sich das UIM ab März 2001 an dem vom Freistaat Bayern ins Leben gerufenen Forschungsverbund Ost- und Südosteuropa (forost) mit dem als Volltextdatenbank konzipierten Informationsserver „Quellen und Materialien zur Beziehungs- und Integrationsgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa im 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung Ungarns, der Minderheitenfrage und der europäischen Integration" zu beteiligen begann.

In der Überzeugung, dass die Bereinigung erfassungsspezifischer Altlasten die Voraussetzung für eine bedarfsorientierte Sammlungs- und Dienstleistungstätigkeit ist, schloss sich das UIM in der ersten Hälfte 2001 der von der BSB initiierten Erörterung einer neuen Funktion seiner Bibliothek an. Diese eröffnete die Perspektive, die Bestände der Bibliothek in die Zentrale Verbunddatenbank des Bibliotheksverbunds Bayern (BVB) aufzunehmen. Der Gedankenaustausch mit dem Leiter der Abteilung Bestandsaufbau und Erschließung der BSB, Herrn Klaus Kempf, sowie deren Ungarnreferentin, Frau Lioba Tafferner, diente dem gemeinsamen Ziel einer intensiven Koordination und Kooperation im Bereich der Monographien- und Zeitschriftenerwerbung auf der Basis der gemeinsamen Arbeit im BVB, vor allem unter Nutzung der zentralen Verbunddatenbank als gemeinsamer Arbeitsplattform. Die BSB verfolgte bereits seit geraumer Zeit das Ziel, mit den Münchener Instituten zur Erforschung Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas und deren Bibliotheksverantwortlichen zu Vereinbarungen über gezielte Erwerbungsabsprachen zu kommen. Einerseits soll den einzelnen Instituten die notwendige Freiheit beim jeweils lokalen Bestandsaufbau bleiben, andererseits müssen angesichts immer knapperer Finanzmittel im Bereich der Medienerwerbung konkrete und beidseitig verbindliche Formen der Zusammenarbeit gefunden werden, um eine qualitätvolle Informations- und Literaturversorgung aufrechterhalten zu können. Ausgangspunkt einer effizienten Zusammenarbeit war die möglichst umfassende und baldige Einbringung der Bibliotheksbestände des UIM in die zentrale Verbunddatenbank sowie vor allem die Aufnahme der laufenden Katalogarbeit und damit die rasche Verzeichnung der Neuerwerbungen in dieser Datenbank. Sowohl bei der Schulung der UIM-Bibliotheksmitarbeiter für die künftige Mitarbeit im BVB als auch bei der laufenden Betreuung der dort zu leistenden Katalogarbeit, aber auch darüber hinausgehender bibliotheksfachlicher Fragen leisteten und leisten Mitarbeiter der BSB, allen voran die Ungarnreferentin, wertvolle Unterstützung. Seit Frühjahr 2002 ist die Bibliothek des UIM mit allen Pflichten und Rechten Partnerbibliothek im BVB.

Mit diesem Schritt wurde die Zusammenarbeit des UIM mit der BSB im Bereich der Erwerbung und Erschließung von Hungarica auf eine neue Grundlage gestellt. Die getroffenen Erwerbungsabsprachen sehen im Grundsatz vor, dass die BSB entsprechend ihrer Gesamtausrichtung auf historisch relevante Inhalte und ihrer Verpflichtungen in den Sondersammelgebieten vorrangig die Literatur zu Geschichte, Politik, Verfassungsgeschichte und -recht sowie Landeskunde Ungarns erwirbt. Insbesondere Literatur zur Sprache und Literatur Ungarns soll künftig arbeitsteilig von UIM und BSB erworben werden. Damit soll vor allem das Spektrum der erworbenen Titel erweitert, hingegen die Überschneidungsquote bei den erworbenen fortlaufend verringert und auf das unverzichtbare Schrifttum zurückgeführt werden.

Die Erwerbungsabsprache wurde im Jahre 2002 formal und inhaltlich entscheidend erweitert: Am 12. Juni 2002 wurde zwischen der ungarischen Nationalbibliothek OSZK, dem UIM und der BSB ein offizielles Kooperationsabkommen geschlossen. Dabei wurde in Verbindung mit gemeinsamen Forschungs- und Veranstaltungsprojekten auch eine dreiseitige bibliothekarische und dokumentarische Zusammenarbeit vereinbart, die unter anderem die Stärkung der einschlägigen Bestände der Bibliothek des UIM über vermehrte Tausch- und Geschenkgaben der ungarischen Nationalbibliothek sowie den weiteren Ausbau des Hungarica-Bestandes der BSB zum Inhalt hatte.

Diese Kooperation brachte – wie der unmittelbare Erfahrungs- und Datenaustausch bestätigte – schon in ihrem ersten Kalenderjahr für beide Seiten die erhofften positiven Effekte, denn die Überschneidungsquote bei den Erwerbungen blieb in einem vertretbaren Maße. Die Sparmaßnahmen der BSB verlangten nicht nur nach einer Verringerung des Kaufvolumens, sondern zugleich nach einer Konzentration auf primäres und qualitativ herausragendes Schrifttum. Hierbei erwies sich diese Zusammenarbeit auch im Hinblick auf bibliographische Recherchen vor allem bei dürftiger Quellenlage als nützlich, weil dabei gerade enger spezialisierte Sammlungsstätten lückenfüllende Beratungen zu leisten vermögen. Der kleine Partner sicherte seinen Anteil an den – für das bayerische Bibliothekswesen auch in barer Münze messbaren – Synergien bei den Erwerbungen verstärkt über den Tausch seiner vom eigenen Verlag vertriebenen Publikationen ,Studia Hungarica’ und ,Ungarn-Jahrbuch’.

Die im UIM geführten Titel arbeitete der Bibliothekar des Instituts in den Verbundkatalog ein. Mit freundlicher Unterstützung der Generaldirektion der BSB war er in die entsprechende Technik eingewiesen worden. Vor Abschluss seines Lehrgangs im Jahre 2002 brachte er an die 1.400 im UIM aufgestellte Titel in die lokale Bibliotheksdatenbank, danach bis Ende 2002 rund 350 Titel in den Verbundkatalog ein. Der Erfahrungswert der Erfassungen im BVB betrug im Oktober 2002 monatlich rund 70 Titel. Die noch aus den 1970er Jahren stammende hauseigene Systematik mit alphabetischen und sachlichen Zuordnungen im Karteikartenkatalog sowie die lokale Bibliotheksdatenbank wurden nach dem Beginn der Teilnahme am BVB nur in begründeten Ausnahmefällen fortgeführt. Diese ergaben sich einerseits bei den Periodika, so auch bei den rund zwanzig Zeitschriften, welche die BSB abbestellen musste, die im UIM aber weiterhin eingingen und wegen fehlender Arbeitskapazitäten des Bibliothekars nicht digital, sondern vom wissenschaftlichen Institutspersonal auf herkömmliche Weise erfasst wurden. Der Karteikartenkatalog wurde andererseits wegen neu einlangender Titel aus zuvor nur dort erfassten Reihen und mehrbändigen Werke weiter gepflegt.

Die letztlich auch für den Münchener Standort der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropawissenschaft unerlässliche Erwerbungs- und Erschließungskoordination des UIM und der BSB wurde vom regelmäßigen und vielfältigen Abgleich von Neuerwerbungs-, Tausch- und Geschenklisten unterstützt. Ihre übergreifenden konzeptionellen Elemente wurden im Februar 2002 der breiteren Fachöffentlichkeit auf dem vom UIM in Verbindung mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in deren Räumen veranstalteten internationalen Symposium „Wissenschaftliche Ungarnkunde in den bayerisch-ungarischen Kulturbeziehungen. Aktuelle Strukturen, Arbeitsschwerpunkte und Vernetzungen" unter dem Titel „Hungarica in Bayern, Bavarica in Ungarn. Die Möglichkeiten ihrer koordinierten Erschließung, Auswertung und Edition" vorgestellt. Im Nachgang dazu begann die Erörterung zweier Vorhaben, die der Kooperation mit der BSB neue und auch in breiteren Fachkreisen wahrnehmbare Dimensionen verleihen sollten. Als mittelfristige Zielsetzung wurde die Anzeige der UIM-Bestände im osteuropabezogenen Neuerwerbungsdienst der BSB formuliert und eine Eingliederung des entsprechenden Materials in das Novitätenverzeichnis des gerade mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft anlaufenden Großprojekts „Virtuelle Fachbibliothek Osteuropa" (ViFaOst) erwogen. Längerfristig schien es angebracht, die Verfügbarkeit der eigenen Bestände nicht mehr nur vor Ort, sondern auch durch öffentliche Ausleihe sicherzustellen.

Der formalisierte Kontakt zu BSB und BVB zog 2002 eine maßvolle Umstrukturierung des Gesamtbestands nach sich. Nach eingehender Prüfung der Aufstellungssystematik des Bücherbestandes wurden mehrere Tausend Bände gereinigt und im Interesse der ständigen Verfügbarkeit und sachgemäßen Eingliederung aktueller Eingänge teilweise neu systematisiert aufgestellt. Dabei wurden die Ergebnisse der im Sinne des Evaluierungsberichts 1999 im Jahre 2001 begonnenen buchbinderischen Restaurierung ausgewählter Titel sichtbar. Unter dem Aspekt der Bestandserhaltung war eine Lösung des Problems der besonders stark gebräunten Zeitungen im „Archiv der ungarischen Exilpresse" nicht mehr aufzuschieben. Der Evaluierungsbericht hatte empfohlen, diese am UIM seit den 1960er Jahren gehaltenen Raritäten „baldmöglichst" zu verfilmen. Entsprechende Haushaltsmittel kündigten sich aber nicht einmal für die fernere Zukunft an. Zugleich war offenkundig, dass diese in einem eigenen Zettelkatalog nach Jahrgängen und in publizierten Titelbibliographien verzeichneten Zeitschriften, Zeitungen, Jahrbücher, Vereinsblätter und sonstige Periodika zur Politik-, Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des ungarischen Exils nach dem Zweiten Weltkrieg wegen ihres vergleichsweise immensen Umfangs und außerordentlich differenzierten Gattungsreichtums einer bibliothekarischen Verarbeitung bedürfen, die über die äußerliche Behandlung hinausgeht. Ihr Bestand, der eineinhalb Jahrzehnte zuvor jährlich um 80 bis 90 Titel zugenommen hatte, schrumpfte nach dem politischen Umbruch in Ungarn auf 15 bis 20 Eingänge, und zwar mit deutlich abnehmender Tendenz. Während dieses Material folglich immer mehr den Charakter einer historisch abgeschlossenen Einheit annahm, standen im Mittelpunkt der Zusammenarbeit mit der BSB absprachengemäß Neuerscheinungen. Nach reiflicher Abwägung dieser Faktoren nahm das UIM das auch finanziell entlastende Angebot des Budapester Literarischen Museums Petőfi (Petőfi Irodalmi Múzeum), eines der bedeutendsten ungarischen Forschungs- und Dokumentationszentren literatur- und pressegeschichtlicher Ausrichtung und langjährigen Partners an, dieses Archiv in die eigene Verwaltung zu übernehmen und mittelfristig über einen digitalen Katalog zu erschließen. Die Übergabe fand im Frühjahr 2002 in der Zuversicht statt, dass dieser Sammlung und der an ihr interessierten Forschung der bestmögliche Dienst erwiesen worden sei.

Auf diese Ausgliederung, die umgehend genutzte neue Stellflächen freimachte, folgte eine begriffliche Neupositionierung. Fortan war die Bibliothek nicht mehr eine Teileinheit der „Sammlungen", sondern die Gesamteinheit, in deren Rahmen alle Materialien, die nicht Bücher und Periodika sind, so auch die zuvor ebenfalls als Teileinheit geführten „Nachlässe und Dokumentationen", die übergreifende Bezeichnung „Sondersammlungen" erhielten. In diese gelangten als neue, selbstproduzierte Gattung die audiovisuell-multimediale und die Fotodokumentation sowie die als Kleinschriften herausgegebenen Einladungen der seit 2000 regelmäßig durchgeführten wissenschaftlichen und künstlerischen Veranstaltungen. CD-ROM- und DVD-Publikationen aus den ungarischen und ungarnbezogenen Humanwissenschaften liefen bereits seit geraumer Zeit ein. Bei den Sondersammlungen war allerdings aus Arbeitskapazitätsgründen nur eine Vorordnung oder – wie im erwähnten Bogyay-Projekt – die Fortsetzung der wissenschaftlichen Auswertung möglich.

Das UIM trat 2003 der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft Münchener Osteuropabibliotheken bereits mit seiner erneuerten Bibliotheksgliederung bei. Im Mai desselben Jahres bot die Informationsveranstaltung der BSB für Bibliotheksdirektoren aus Ungarn Anlass, den Stand der Münchener Erschließung und Erwerbung von Hungarica in ihrer grenzüberschreitenden Reichweite vorzustellen und bilateral zu erörtern. Dabei wurde Einvernehmen darüber erzielt, dass die BSB und das UIM nur in einer engen institutionalisierten Kooperation die finanziell schwierigen Zeiten erfolgreich bewältigen könnten. Die Mitgliedschaft im BVB sollte bei fortlaufenden Erträgen eine ansprechende Vorleistung nachweisen, die gemeinsame Sonderprojekte unter Einbindung der noch nicht verwerteten Bibliotheksbestände des UIM rechtfertigen.

Diese Überlegung nährte sich aus den günstigen Erfahrungen der Zusammenarbeit, in der das UIM bei unverändert unterfinanzierter Personal- und Sachausstattung organisatorische und sammlungsbereichernde Maßnahmen ergriff. 2003 gestaltete es seine alte Fachsystematik den Ansprüchen des BVB sowie seinen Bestandsproportionen entsprechend, aber unter weitestmöglicher Berücksichtigung der institutsgeschichtlich gewachsenen Bestandsgliederung um. Die Aufstellungssystematik des mit zehn Arbeitsplätzen und mehreren internetfähigen Rechnern ausgestatteten Lesesaals wurde abgeschlossen. In weiteren Räumen war die sachgemäße Eingliederung im Gange. Auch fing die Revision der Periodika für eine Aufnahme in den BVB-Katalog an. Dabei stellten sich die Erweiterung der Stellflächen und die anschließende Neusystematisierung dieser Bibliotheksabteilung als infrastrukturell und finanziell anspruchsvolle Zukunftsaufgaben dar.

Die Bestandsvermehrung erfolgte auch 2003 in erster Linie im Tauschverkehr und durch Schenkungen von Privatpersonen und Institutionen, vor allem der ungarischen Nationalbibliothek OSZK und des Balassi-Bálint-Instituts (Budapest). Der letztgenannte Partner gewährte technische Hilfe zu einem bis Frühjahr 2005 abgewickelten Bücherkauf in Ungarn, für den das Budapester Förderministerium Ende 2003 einen bedeutenden Sonderzuschuss bereitgestellt hatte. Das UIM reichte dazu eine anhand der ungarischen Nationalbibliographie erstellte und mit der BSB abgestimmte Wunschliste mit Novitäten ein. Von den 2003 aus den UIM-Beständen in den BVB-Katalog eingebrachten 700 Buchtiteln waren laut BVB-Katalog 200 nur in der Bibliothek des UIM vorhanden. Die Pflege des alten Karteikartenkatalogs und der eigenen Bibliotheksdatenbank wurde mit der Titelanzeige von neuen Bänden laufender mehrbändiger Werke sowie Ergänzungen oder Änderungen von Daten, die sich während der bibliographischen Erfassung im BVB-Katalog ergaben, fortgesetzt.

Die für den Zeitraum 2000-2003 geschilderten Strukturen der Bibliotheksarbeit haben sich am UIM bis heute nicht wesentlich verändert. 2004 und 2005 wurden – inzwischen im neuen Katalogsystem ALEPH – jeweils 400 neue Buchtitel erfasst, darunter 160 sowie 100 Titel, die in der BSB und an anderen BVB-Bibliotheken nicht vorhanden waren. Der Bestand wurde hauptsächlich durch Tauschbeziehungen mit einer zunehmenden Anzahl von Forschungsinstituten, Universitätslehrstühlen, Museen und Sammlungen im In- und Ausland vermehrt. Ihm kam nach wie vor regelmäßig die Spendenbereitschaft vor allem der ungarischen Nationalbibliothek OSZK und des Balassi-Bálint-Instituts zugute. Mehr als ein Drittel der 2005 bibliographisch erfassten Titel wurde mit der erwähnten Sonderzuwendung des ungarischen Kulturministeriums erworben. Neben diesen Neuerscheinungen gingen aus übernommenen privaten Büchernachlässen zahlreiche Werke ein, mit denen sich Lücken des Altbestandes füllen ließen. Wegen der fortlaufenden Zunahme des Gesamtbestandes erreichte die Pflege der Aufstellungssystematik einen erhöhten Schwierigkeitsgrad. Zwar gelang es, durch regelmäßige Neustrukturierungen den Großteil der bibliographisch erfassten und signierten Titel aufzustellen. Doppelreihen waren aber immer seltener zu vermeiden.

Zwei Vorgänge waren 2005 für die Sondersammlungen von Belang. Zum einen wurden im Rahmen eines gemeinsamen Kurzprojekts einige persönliche Nachlässe in Zusammenarbeit mit einem nach München entsandten Mitarbeiter der Nationalbibliothek OSZK für die Erfassung im „Hungarica-Handschriftenkataster aufbereitet. Die umfangreichste und wertvollste Hinterlassenschaft, jene Bogyays, ließ sich in seiner systematischen Beschreibung über jenen Stand hinaus verfeinern, der in dem 2003 in Verbindung mit der Universität Hamburg abgeschlossenen Institutsprojekt erreicht worden war. Zum anderen wurde die von 2001 bis 2005 im forost-Verbund geförderte Volltextdatenbank „Quellen und Materialien zur Beziehungs- und Integrationsgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa im 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung Ungarns, der Minderheitenfrage und der europäischen Integration" mit ihrer Münchener öffentlichen Präsentation ins Internet gestellt. Aus diesem Anlass bot die BSB die Intensivierung der Zusammenarbeit auf drei Arbeitsfeldern an: Die UIM-Bibliothek sollte im Fach-OPAC-Modul bei der Metasuche in osteuroparelevanten Literaturbeständen einbezogen, ihre Datenbank in die Sparte „Texte und Materialien" der ViFaOst aufgenommen und ihr Novitätenmaterial ebendort im Modul „Neuerwerbungen" verzeichnet werden. Die Gespräche über diese neuen Kooperationen wurden ebenso aufgenommen wie jene über die Möglichkeit, die derzeit nur lokal recherchierbaren Buch- und Periodikabestände des UIM als Projekt zur Konvertierung eines Spezialbestandes auszuweisen und in den bayerischen Verbundkatalog einzuarbeiten.

3. Aufgaben für die nahe Zukunft

Die Zusammenarbeit mit der BSB hat der Bibliothek des UIM einen besonderen Stellenwert innerhalb des BVB zugewiesen. Dennoch ist es trotz wiederholter Versuche bisher nicht gelungen, die Kontinuität ihrer Betreuung, Bereicherung und Verwertung in einem auch nur bescheidenen Umfang zu festigen. Die Finanzierung des teilzeitbeschäftigten Bibliothekars war im Vergleich zur Menge der bewältigungswürdigen Aufgaben nicht nur zu knapp bemessen, sondern haushaltsjährlich zu erkämpfen und bisweilen aus schwer kalkulierbaren Restposten der staatlichen Zuwendungen zu leisten, während ein Teil der Bibliotheksaufgaben vom übrigen Institutspersonal zu verrichten war. Und die eigenen Erwerbungen gingen bei ähnlich widrigen finanziellen Voraussetzungen überwiegend auf Tauschbeziehungen und Schenkungen zurück. Das UIM war so gefordert, in die Kooperation mit der BSB regelmäßig fachliche Ressourcen und Netzwerke über seinen bibliothekarischen Teilauftrag hinaus einzubringen. Im Rückblick mischt sich den Anstrengungen die Zuversicht bei, dass auf diese Weise Einsparungen möglich wurden, die der Qualitätssicherung keinen Abbruch taten. Denn das gemeinsame Ziel war neben der Verringerung der Anschaffungskosten eine Erwerbungskoordination, die das Informationsangebot des BVB zur Quellen- und Literaturgruppe der Hungarica aufrechtzuerhalten hilft.

Das UIM wünscht diesem doppelten Dienst an Haushaltskasse und Leser eine Planungssicherheit, welche das bisherige Missverhältnis zwischen Förderung und Bedeutung dieses Tätigkeitsfeldes aufhebt. Mit einer verbesserten Finanzausstattung wären drei Grundaufgaben anzugehen: Erstens müsste für die fachbibliothekarischen Aufträge eine feste Halbtagsstelle zur Verfügung stehen, um die noch erheblichen Katalogisierungsrückstände in überschaubarer Zeit abzuarbeiten und die laufende Sammlungsbetreuung zu gewährleisten. Zweitens käme es darauf an, die Erwerbungen mit gezielten Käufen zu unterstützen, um vor allem bei den Novitäten nicht nur auf Tauschgaben und Schenkungen angewiesen zu sein. Drittens hätte die Zugänglichkeit eine erweiterte Priorität verdient, weil einesteils die derzeit ausschließlich örtliche Benutzung ständigen Problemen der Freihand- und Magazinaufstellung ausgesetzt ist, andernteils die Mitgliedschaft im BVB selbstverständlich zu einem öffentlichen Leihverkehr verpflichtet. Alle drei Zielsetzungen orientieren sich an den Empfehlungen, die der Bewertungsausschuss des UIM 1999 in bibliothekarischer Hinsicht unterbreitete.

Diese Überlegungen sind nicht allein dem Status einer Spezialbibliothek geschuldet. Sie berücksichtigen die Anforderungen der fachlichen Dokumentation in der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropawissenschaft, die in München keineswegs bloß reiche Traditionen vorweist, sondern neuerdings wieder starkes Interesse an ihrer zukunftsgerichteten Selbstgestaltung zeigt. Sie gehört zu den arealen Arbeitsschwerpunkten der Ludwig-Maximilians-Universität, mit der das UIM für den Ausbau der Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Hungarologie zusammenarbeitet. So stehen seine Sammlungen bereit, ihren praktischen Zweck sowohl im Bibliothekswesen als auch im Hochschulbetrieb Bayerns zu erfüllen.